Im Stall

stehen Kühe, Kühe und Ziegen und Hummeln. Alles ruht, steht da wie eingefroren. Es ist wohl die Wärme, die Wärme der Abendluft und der Geruch darin, die Akazien. Jedenfalls macht kein Tier einen Mucks. Die Hummel hockt der Ziege zwischen den Hörnchen und hält still. Einer Kuh fällt etwas hinten heraus. Die Flade drückt den Schweif hoch, von sich aus bewegt das Tier ihn nicht. Die Kühe stehen so, dass sie den Ziegen in die Augen sehen und die Hummeln sitzen so auf ihren Ziegenköpfen, dass sie den Kühen ihr Hinterteil präsentieren. Irgendwo liegt ein Hund. Muss ein Hund liegen, man riecht ihn, auch wenn man ihn nicht sieht. Wahrscheinlich steckt er im Heuhaufen, oder er ist die Leiter irgendwie hoch gekommen und versteckt sich unterm Dachgebälk. Ginge Wind, würde der Schuppen knarren. So ist es fast völlig still. Nur wenn man darüber nachdenkt, hört man die Zikaden, die man ansonsten ausblendet, und das Rauschen des Meeres.
Als hätte jemand einen Hebel umgelegt, kommt Leben in die Tiere. Die Hummeln erheben sich, brummen, landen auf den Köpfen der Kühe, präsentieren jetzt den Ziegen ihr Hinterteil. Die Kühe furzen, scheißen, manche werfen den Kopf zurück und muhen. Die Ziegen halten noch einigermaßen ruhig, aber man merkt, dass sich ihre Haltung verändert hat, dass sie nicht mehr erstarrt sind. Sie haben sich entspannt, der Kopf wiegt hin und her, hin und her. Der Heuhaufen raschelt und der Hund steckt seinen Kopf heraus. Im Maul hält er einen Quietschhahn. Er lässt ihn fallen und der Aufprall des Quietschhahns am Boden ergibt ein kurzes Röhren, ein abgebrochenes Röhren, von dem eine der Ziegen erschrickt und zu blöken beginnt. Die anderen Stimmen ein, die Hummeln erheben sich erneut, ganz so, als flögen sie nur, um zum Geblöke zu brummen. Auch die Zikaden, kann es sein?, haben in Lautstärke und Geschwindigkeit angezogen. Die Tierlaute ergeben ein Tosen, wie Geröll den Berg herunterkommt waschen die Tiergeräusche durch den Schuppen. Alle Kühe rufen jetzt, klagen, singen. Man hört sogar eine Katze schreien, sieht sie auch: die ist wirklich oben am Dachboden. Die Katze singt gewissermaßen die Oberstimme. Franziska beginnt mit den Armen zu wedeln; sie dirigiert die Tiere. Freilich hätten die auch ohne ihrem Gefuchtel gesungen, aber das Gefuchtel ist eben die Entsprechung zum Gejodel auf der Ebene der Bewegunng. Sie fuchtelt so lange, bis sie sicher ist, dass alles auf sie hört. Man muss eben nur lange genug mit den Tieren fuchteln, damit sich die Sache gewissermaßen umdreht, damit die Natur nach dem Gehampel der Menschen tanzt und nicht die Menschen nach dem Geschrei der Natur zappeln. Schließlich breitet sie die Arme aus und wirklich setzen sich die Hummeln zurück auf ihre Ursprungsziegen, die Ziegen und Kühe verkrampfen sich wieder zu Eisskulpturen, die Katze gibt Ruh und der Hund zieht den Kopf wieder unters Heu, raschelt nicht mehr. Nur eine einzige Hummel, die sich scheinbar vom Rausch hat irre machen lassen, surrt noch herum, surrt um Franziskas Kopf, um ihre ruhenden Arme und setzt sich irgendwann – wie lange hatte Franziska so gestanden? – auf ihren Handrücken. Sie ist so schwer, dass es Franziska den Arm an die Hüfte drückt und das ganze Spektakel wieder von vorne losgeht.

Bild

Die Heuschrecke

Sie war nicht tot. Jedenfalls sah sie nicht tot aus. Ich blies sie an und ihre Flügel bewegten sich wie Blätter im Wind. Aber sie rührte sich nicht von sich aus. Überhaupt erinnerte sie an eine Pflanze. An einen noch grünen Lindensamen. Sie war wohl doch tot, zumindest stellte sie sich tot, vielleicht in der Hoffnung, man möge sie vergessen. In der eigenen Wohnung fürchte ich mich vor Insekten. Säße eine Heuschrecke in meinem Zimmer, ich öffnete das Fenster, schlösse die Türe und beträte das Zimmer stundenlang nicht mehr; dann, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließe, wenn ich etwas aus meinem Zimmer bräuchte oder es Schlafenszeit wäre, löschte ich alle Lichter und gewöhnte meine Augen an die Dunkelheit, ich öffnete die Türe einen Spalt, steckte den Kopf durch die Öffnung und sähe, ob die Heuschrecke dort noch hockte, und wenn sie nicht mehr hockte, wo sie gehockt hätte, dann träte ich ins Zimmer, nur ein kleines Stück, mit gespannten Muskeln und jederzeit dazu bereit, zurück in den Gang zu zischen und die Türe hinter mir zuzuschlagen, und ich suchte das Zimmer ab, ob die Heuschrecke sich nicht nur woanders hinverpflanzt hätte und erst wenn ich sicher wäre, dass sie sich in keinem Winkel, nicht unterm Schreibtisch, nicht unterm Bett versteckte, schlösse ich hastig das Fenster, als bestünde Gefahr, die Heuschrecke könnte zurückkehren und sich wieder auf den Platz setzen, auf dem sie solange ungestört gesessen hätte und erneut das Zimmer in Beschlag nehmen.
Anders auf den Pflastersteinen, auf denen ihre zerbrechlicher Leib wie in einem Raster ruhte. Tot oder wie tot erstarrt strahlte sie eine zärtliche Ruhe aus. Ich ging mit meinem Gesicht nah an die Heuschrecke heran und atmete ihren bitteren Geruch ein. Ihre schwarzen Augenscheiben durchdrangen mich bedrohlich: Warte nur ab, noch liege ich hier, ein Samen im Wind, aber bald kommt der Sommer und du öffnest dein Fenster.
Ich richtete mich auf und hielt meinen Stiefel über das Tier. Ich wollte ihn auf den grünen Ast senken, doch etwas ließ es nicht zu. Mein Fuß verdeckte die Sicht auf die Heuschrecke und jedesmal, wenn ich sie nicht sah, hatte ich die Fantasie, sie sei schon hinter mir und ich stellte mir vor, dass sie sich rächen würde, falls ich sie verfehlte oder sich unter meiner Sohle aufbäumen und mich auf den Boden schleudern oder zu sich auf den Boden reißen und in mein vom Aufschlag blutendes Maul kriechen. Ich stellte den Fuß neben der Heuschrecke ab und murmelte eine Entschludigung. So recht konnte ich nicht an ihre Vergebung glauben. Dann preschte ich die Straße entlang. Alle paar Schritte blickte ich mir über die Schulter. Ich prüfte, ob die Heuschrecke noch dort lag. Irgendwann konnte mein Blick sie nicht mehr finden, sei es, weil ich mich schon zu weit entfernt hatte, sei es, weil die Heuschrecke nicht mehr dort lag.

Foto: Eine grasgrüne Heuschrecke liegt seitlich auf Pflastersteinen.