Tâches II

Der Gedanke, es gebe einen Sadismus gegen Kunst, tönt gleichzeitig richtig und falsch. Falsch, weil es die Metapher vom Leben der Werke, vom Kunstwerk als lebendigem Gebilde überstrapazieren hieße, ihnen die Fähigkeit zum Schmerz zuzuschreiben. Zudem ist es zwar durchaus denkbar, jemand könne Aggressionen gegen Kunst hegen und es genießen, sie auszuleben – allerdings handelte es sich deshalb noch nicht unbedingt um Sadismus. Dazu fehlte das Vergnügen am Schmerz, an der Macht des Quälens und dergleichen.

Schwieriger ist es, das Richtige des Gedankens zu fassen, das es nicht erlauben will, einfach den Begriff Aggression, Widerwillen, Abneigung oder sogar Hass an Stelle des prekären Ausdrucks zu setzen. Vielleicht liegt der Schlüssel nicht in der Abneigung gegen Kunst, sondern in ihrer Verehrung. Wenn gesagt wird – und es wird oft gesagt – Kunst und Kultur verliehen der Gesellschaft erst ihren Wert, ohne sie wäre diese nichts, offenbart sich darin nicht nur die Rolle von Kunst als Platzhalter einer anderen Welt, die wirklich lebenswert wäre, sondern auch eine latente Feindschaft gegen die Menschen, auf die es in diesem Topos am wenigsten ankommt.

Vielleicht ist es dieser Menschenhass, der als Hass gegen Kunst durchbricht, sobald ihre Fassade unnahbaren Jenseits Risse zeigt. Die Verehrung schlägt um und entpuppt sich als Sadismus. Überhaupt ist es vielleicht legitim, dort von Sadismus zu sprechen, wo Schwäche Gewalt provoziert.

Tâches I

Unvorstellbar: jemand sagte, angesichts etwa Cézannes Mont Sainte-Victoire, da wäre ein seltsamer Fleck. Wohl ein Fehler Cézannes, der Fleck sehe komisch aus, vielleicht stattdessen eine andere Farbe verwenden oder den Fleck überhaupt weglassen. Der Fleck wirke irgendwie aufgeklatscht, als wäre er nicht auf dem Berg, sondern auf die Leinwand geraten. Jedenfalls wäre das eigenartig, da hätte er sich etwas überlegen müssen.

Eine Ansage, die allerdings als Bemerkung an einer Kunstuniversität gegenüber dem Bild einer Kollegin keinerlei Aufsehen erregen würde. Wenn Cézannes einen Fleck malt, wird die Theorie so angepasst, dass der Fleck sie geradezu konstituiert, während sich die meisten gegenüber nicht-etablierten Kolleginnen herausnehmen, was ihnen nicht in den Kram passt oder nicht einleuchten will, als Makel des Werkes zu bemängeln.

Diese besondere autoritäre Überheblichkeit ist übrigens außerordentlich verlockend und es ist ihr schwer zu widerstehen. Die Notwendigkeit von Feedback oder prägnanter Kritik als Voraussetzung von Weiterentwicklung ist die recht durchsichtige Rationalisierung eines Sadismus gegen Kunstwerke schlechthin, der ausgelebt wird, sobald das Werk sich schwach zeigt, in statu nascendi oder als von Institutionen und großen Namen noch ungedecktes.

Feedback, mit dem künstlerisch etwas anzufangen wäre, das ins Innere des Gebildes vordränge, erkennte die scheinbaren Schwächen als Momente der potentiellen Stärke des Werkes.

Industria Borealis

Seltsam wie poetisch Industrierlandschaften wirken können. Indem sie außerhalb der Stadt erlebt werden – oft nur im Vorbeifahren von der Autobahn aus –, werden sie eine Kulturlandschaft unter anderen: ein bewirtschaftetes Feld, ein beforsteter Wald und dann das wie von Geisterhand rhythmisierte Blinken hunderter roter Lichter in der Nacht. Es sind wohl Windräder, aber zu sehen ist nur das Feld aus elektrischem Mohn. Oder die Neonstäbe, die zu tausendenen eine Ölraffinerie in ein schimmerndes Glühen versetzen.

Diese Schönheit der Industrie strahlt dann am stärksten, wenn der direkte Blick verstellt wird; im Nebel, in der Dämmerung oder in der Nacht. Vielleicht fällt im Zwielicht die Funktion von der Industrie ab; der Schleier, der das Jetzt verdeckt, lässt trübe durchschimmern, was auch sein könnte.

Encore II

Denken sträubt sich auch gegen die Wiederholung fremden Denkens. Nicht im ersten Nachvollzug aber im bejahenden Rekurs darauf. Der Sensiblen muss die zustimmende Wiederholung Aussagen Anderer als unredlich erscheinen. Denn auch die Wahrheit des Zitierten fußte im spezifischen Verhältnis zu dessen Gegenstand. In anderem Zusammenhang, und sei es auch nur später, ist dasselbe schon falsch. Auch hier würde Treue bedeuten, das Beste zu verwerfen. Kein Vortrag lässt sich zweimal halten, kein Satz zweimal Schreiben, nichts lässt sich affirmativ zitieren.

Encore

Vielleicht kann kein Gedanke im vollen Wortsinn zweimal gedacht werden. Das nachträgliche des Denkens erzwingt die Einmaligkeit. Würde ein Gedanke noch einmal gedacht, handelte es sich nur um geistige Technik – sich auf die Schliche kommen kann man nur einmal. Die reflexive Einsicht wiederholt, wäre schon ihr Gegenteil: ein eingeübtes Muster, geeignet zur Beruhigung. Im Grunde muss jeder Gedanke der ihn Wiederholenden schon als falsch erscheinen. Und nur der dieser Falschheit überführte und verworfene, dessen Wahrheit wird errettet.

Allzu fern

Wer weiß, in fernerer Zukunft zu einem Thema sprechen zu müssen, macht sich schon allerhand Gedanken. Jede Lektüre wird irgendwie auf diesen Gegenstand bezogen, Gespräche landen absichtlich oder wie von selbst bei betreffendem Gebiet, vielleicht wird die ein oder andere Notiz gemacht. Auch werden in Gedanken schon erste Formulierungen geprobt, ganze Passagen des Vortrags werden beim Schlendern durch die Straßen als innerer Monolog sich selbst vorgetragen. Mit mancher Entdeckung ist die so sich viel zu früh gedanklich Einstellende sehr zufrieden, manche Notiz erfüllt sie schon mit Vorfreude, über den ein oder anderen Satz ist sie ganz entzückt.

Doch die Notizen verblassen mit der Zeit. Im Nachhinein mag der einst frische Gedanke abgestanden und fade erscheinen. Noch flüchtiger sind die Formulierungen im Kopf, die, so ohne Stift gedacht, schon verloren sind im selben Augenblick. Nach Monaten, wenn schließlich die große Stunde in nahe Zukunft rückt, ist von alledem nichts mehr übrig. Der Vortrag ist auf gewisse Weise bereits erledigt, er reizt nicht mehr. Vielleicht sollten Vorträge entweder recht kurzfristig beschlossen und angesetzt werden oder aber bloß geplant und rechtzeitig abgesagt. Erst so oder so wäre dann vielleicht doch noch etwas vom Denken übrig.

Hintergrund

Ende der 80er Jahre fertigte der Maler Albert Öhlen eine Reihe von gegenständlich durchhuschten ungegenständlichen Bildern an. Ein dichter Film aus Farben wirkt, als wäre etwas recht gründlich übermalt. In diesem dichten Vordergrund lassen sich Gestalten ausmachen, sowie Elemente, die auf Perspektive hindeuten. Dadurch entsteht der Eindruck einer verhinderten Tiefe. Es wird in den Bildraum verwiesen, doch der bleibt verdeckt, unzugänglich und hinter der festen Farbschicht verborgen.

Aber an einigen Stellen ist dieser hartnäckige Vordergrund löchrig und scheint den Blick freizugeben auf die Hinterwelt, eine Landschaft oder den Bühneninnenraum. Wer ein Loch entdeckt, findet bald ein zweites kleineres und vielleicht ein drittes, nur halb durchbrochenes, matteres – mag sein es ist noch gar keines.

Kippbilder

Es ist eine der bemerkenswertesten und charakteristischen Eigenschaften jeder Kunst, dass sie in einer bestimmten Ansicht ein seltsames Kippbild darstellt. Jedes einzelne Werk und jeder Werkkomplex ergeben für sich betrachtet einen Sinnzusammenhang, mag er geschlossen, brüchig oder durchlässig sein. Jedenfalls absorbiert er die Frage nach dem Sinn der Kunst in ihr Inneres. Sie kommt nicht auf, weil die Frage nach diesem inneren Sinn der Gebilde im Moment der konzentrierten Beschäftigung um soviel drängender erscheint.

Doch kaum tritt die denkende Betrachterin aus der Sphäre der Kunstwerke aus, blickt auf sie wirklich nur von außen, kippen die Stücke um. Sie verrätseln sich zu einer durchaus banalen und durchsichtigen Fassade, welche die Frage geradezu aufdrängt: Was soll der Scheiß eigentlich? Was vorher als subtiles Spiel der kleinsten Nuancen und Aspekte der Werke aufgefasst werden konnte, muss jetzt als Projektion und Wichtigtuerei erscheinen.

Diese Kippbildhaftigkeit der Kunst ist das stärkste Indiz dafür, dass künstlerische Werke wirklich eine eigene Welt bevölkern.