Der Graben III

„Sie wohnen also unten, ja?“ fragte Julia.
„Mein Haus steht direkt im Lichtkegel Ihrer Scheinwerfer.“
„Soll ich sie abschalten?“
Hugo nickte langsam. „Das wäre gut.“
„Ich würde ja.“ Julia kraulte Nelly den Hals. „Es ist nur … dann wäre ich doch gar verloren. So ganz ohne Licht in der Wand hängen. Dabei wäre mir nicht wohl. Wie sollen mich meine Leute dann finden?“
„Sie haben gesagt, dass Ihnen der Platz gefällt.“ Hugo schnippte und Nelly drückte sich an seine Seite. „Ich würde ihnen ja durchaus helfen, hier wegzukommen, wenn es bedeutet, dass die Lichtbeflutung aufhört. Aber wenn Sie sich nicht helfen lassen wollen … und das Licht nicht ausschalten wollen, dann haben wir ein Problem. Ich könnte Sie zumindest so drehen, dass Sie einen anderen Bereich verstrahlen. Wenn ich Sie zum Beispiel um 180° rotiere, dann zeigen die Scheinwerfer nach oben. Dann sollte es für Ihre Leute ein Leichtes sein, Sie aufzuspüren.“
„Ich habe eine andere Idee“, sagte Julia. „Mein Boot ist nicht gerade in einem Top-Zustand. Die Turbine ist ganz verkrümmt.“
„Offensichtlicht“, sagte Hugo.
„Und Sie sagten, dass Sie gleich unten wohnen, ja? Gleich unten im Graben.“
Hugo schüttelte den Kopf. „Nein, nein, nein. Das glaube ich nicht. Es ist gar nicht … ich will nicht unhöflich sein, aber es würde einfach nicht funktionieren.“
„Ich brauche nur ein paar Tage“, sagte Julia. „Höchstens zwei Wochen, dann ist mein Kahn wieder einsatzbereit. Das ist doch sicher besser, als sich von mir verstrahlen zu lassen, wie Sie sagen.“
Hugo senkte den Kopf, seine Stirn verrunzelte sich, seine Wangen, sein Kinn. Es war, als liefe ein Wurm unter seiner Haut herum.
„Nelly mag mich schon“, sagte Julia. „Versuchen wir es?“
Hogo hob den Kopf, zog wie gegen heftigen Widerstand die Lippen auseinander. „Na gut“, sagte er. „Versuchen wir es.“

Der Graben II

Es pumperte. Julia sprang auf, stürzte an die Schleuse. Es war unwahrscheinlich, dass ihre Crew sie so schnell gefunden hatte. Außerdem hätte das Suchteam sie angefunkt, sobald es nah genug gewesen wäre, um ihr Signal zu empfangen.
Julia atmete durch und setzte sich wieder an den Tisch, auf dem sie ihre Berechnungen ausgebreitet hatte. Sie schob sie zu einem Stapel zusammen und legte die Karte des Grabens oben auf. Dann ging sie wieder zur Schleuse und sah durch die Luke. Auf der anderen Seite war ein Männergesicht mit Augen, die beim Anblick Julias aufleuchteten.
Sobald sie die Türe ein Stück geöffnet hatte, drängte sich ein eigentümliches Tier durch den Spalt. Es war robbengroß, hatte eine Hundeschnauze und Flossen an den Seiten. Das Tier stemmte sich an Julia hoch und rieb die Ohren an ihrem Bauch.
„Das ist Nelly“, sagte der Mann.
„Und Sie sind?“ fragte Julia.
„Hugo.“
„Julia“, sagte Julia und streckte ihm die Hand entgegen. „Wollen Sie etwas trinken. Ich war gerade im Begriff, einen Tee zu kochen.“
„Wenn Sie auch ein Wasser?“ sagte er. „Für Nelly, meine ich, in einer Schüssel.“
Julia stellte Teewasser auf und füllte eine Schüssel für das Tier. Sie legte ein Sieb in die Teekanne und löffelte Schwarztee hinein.
„Da haben Sie sich ziemlich festgesetzt“, sagte Hugo.
„Na ja“, sagte Julia. „Es ist eigentlich ein recht angenehmens Fleckchen hier. Ich habe mich gerade eingewöhnt.“
„Sie brauchen also keine Hilfe?“
„Milch, Zucker?“ fragte Julia beim Aufgießen.
Nelly schlabberte vergnügt ihr Wasser, verschüttete die Hälfte.
„Weder noch“, sagte Hugo.
„Habe ich sie mit meinem Licht gestört?“ fragte Julia.
„Das kann man wohl sagen.“ Hugo spielte mit seiner Tasse, blickte hinein als gäbe es darin schon einen Satz zu lesen. „Ich habe an meinem Verstand gezweifelt, um ehrlich zu sein. Habe gedacht, ich bilde mir das Licht nur ein. Es bleibt hier ja selten ein Boot hängen.“
„Das tut mir leid“, sagte Julia und schenkte den Tee ein.
„Na ja.“ Hugo sog Dampf in die Nase. „Es ist also alles in Ordnung bei Ihnen. Dann gehe ich wieder.“
„Ich dachte, Sie trinken mit mir Tee.“
„Ich will mich nicht aufdrängen.“ Hugo nahm einen Schluck. „Wenn Sie wieder ihre Ruhe wollen, verstehe ich das. Ich bin selbst genauso. Nichts hasse ich so, wie unangekündigten Besuch.“

Der Graben I

Am Sonar war die Walherde deutlich zu erkennen. Julia drehte den Lautsprecher auf, der die Geräusche aus dem Wasser übertrug, und lauschte dem Gesang. Sie passierte die Stadt: Ein elektrisches Korallenriff, ein blinkender und blitzender Teppich am Meeresgrund. Noch vor zehn Jahren war sogar ein Tauchgang bis hierher eine Expedition, heute karrten sie die Touristen mit Linien-U-Booten hinunter und hinauf.
Der Graben war etwas anderes.
Das Flutlicht schien direkt nach unten, aber es war, als leuchtete man in zähen, schwarzen Nebel, der immer erst im letzten Augenblick den Weg freigab. Die Strömung rüttelte am Boot, und Julia hatte Schwierigkeiten, den Sicherheitsabstand zu den Klippen einzuhalten. Schwer zu glauben, dass hier unten noch Menschen lebten. Bisher gab es erst zwei Expeditionen in das Benthal des Grabens. Drei Häuser waren in der Literatur beschrieben, aber wer konnte wissen, wieviele es noch gab?
Ein Sog erfasste das U-Boot. Julia steuerte gegen und schaltete die Turbine auf die höchste Stufe. Trotzdem drückte es das Boot weiter Richtung Fels. Um den Aufprall abzufangen, stellte sie das Boot seitlich und stabilisierte mit dem Seitenantrieb. Ein Krach – und es steckte im Hang.
Wenigstens war der Reaktor nicht ausgefallen. Julia hatte noch Strom, aber der Motor stotterte unregelmäßig, und das Display zeigte an, dass die Hauptturbine Schaden genommen hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich in den Stein gefressen und dabei ganz verbogen. Auch das Flutlicht hatte sich verhakt und starrte stur in die Tiefe.